„Bewegende Einblicke in ein vergessenes Kapitel der Geschichte“
Im Dezember hielt die renommierte Autorin und Filmemacherin Irene Langemann eine Lesung am Hagerhof. Ihr autofiktionaler Roman „Das Gedächtnis der Töchter“ beleuchtet die bewegende und oft schmerzhafte Geschichte der Russlanddeutschen. Die Schülerin Cosima Plies berichtet über die Veranstaltung, die Diskussionen und ihre eigenen Eindrücke von einem Werk, das Generationen verbindet und ein wichtiges Stück Zeitgeschichte erzählt.
Lesen Sie den vollständigen Artikel und tauchen Sie ein in eine außergewöhnliche Auseinandersetzung mit Identität, Erinnerung und Gerechtigkeit.
Irene Langemann: „Das Gedächtnis der Töchter“ – Das Schicksal der Russlanddeutschen
Text: Cosima Plies
Kurz vor Weihnachten hielt die Autorin Irene Langemann am Hagerhof eine Lesung. Irene Langemann ist Russlanddeutsche. In ihrem Roman „Das Gedächtnis der Töchter“ geht es um die Suche nach Identität und das Leid, das mehrere Generationen von russlanddeutschen Frauen erlebt haben.
Der Roman ist autofiktional, das bedeutet, dass es eine erfundene Geschichte mit erfundenen Charakteren ist, aber vieles auf wahren Ereignissen basiert. Zum Beispiel erlebt eine der Protagonistinnen – das junge Mädchen Vera – in der Schule Ausgrenzung. Sie wird von ihren russischen Mitschüler:innen als Faschistin bezeichnet und somit mit Vorurteilen konfrontiert, die die russischen Kinder gegenüber russlanddeutschen Menschen haben.
In dem Buch geht es um eben diese Ausgrenzung, aber auch um das Leid, das den Vorfahren von Vera widerfuhr – denn Vera beschließt, über die Geschichte ihrer Familie und ihrer Herkunft zu lernen. Sie liest die Familienchronik, die ihre Mutter Anna geschrieben hat. So erfährt Vera, dass ihre verstorbenen Verwandten im 18. Jahrhundert nach Russland eingewandert und nur aufgrund ihrer deutschen Herkunft mit Dingen wie Enteignung, Ausgrenzung, Deportation und Zwangsarbeit konfrontiert waren. Das alles und noch mehr wurde mehreren Generationen von Russlanddeutschen angetan, weil sie zur Zeit des Zweiten Weltkriegs in der Sowjetunion lebten, aber aufgrund ihrer deutschen Abstammung verachtet wurden. Nur weil sie aus Deutschland kamen, wurden sie der Spionage verdächtigt. Die Sowjets dachten, dass sie alle Unterstützer von Hitler seien. Aufgrund dieses Irrglaubens wurden sie dann deportiert und mussten unter furchtbaren Umständen Zwangsarbeit verrichten.
Irene Langemann hat all dies jahrelang aufgearbeitet und in diesem Roman niedergeschrieben. Nach der Lesung beantwortete sie uns ein paar Fragen. Zuerst wollte ich wissen, ob diese jahrelange Aufarbeitung belastend für sie war.
Cosima: Vera und auch Sie haben ja in sehr jungem Alter begonnen, sich mit der Historie ihrer Familien zu beschäftigen. War das damals belastend für Sie als Kind, als 11-Jährige wie Vera? Und wie blicken Sie da heute darauf?
Irene Langemann: Als belastend würde ich das nicht bezeichnen. Ich bin Deutsch sozialisiert worden, also ich bin zweisprachig oder zweieinhalbsprachig (zählt man die deutsche Mundart mit) aufgewachsen. Es ist ähnlich, wie ich es auch im Roman geschrieben ist, meine erste Sprache war Deutsch. Ich habe mit drei Jahren Russisch im Kindergarten gelernt. Und insofern war es bis zur Schule eigentlich ein natürliches Erwachsenwerden. Die Außenwelt war russisch und die häusliche Innenwelt war deutsch. Aber in der Schule fing es dann an mit dieser Art von Diskriminierung, mit diesen Beschimpfungen von Schulkameraden und uns. Es wurde immer unterstellt, dass wir minderwertig sind, unsere Eltern, aber auch wir Kinder. Es hieß immer, die Deutschen sind nicht so wie die Russen und man ist besser, wenn man Russe ist. Die russische Nation war immer die höhere Nation, die über allen anderen stand: großrussischer Chauvinismus. Damit wurde ich als Kind und Jugendliche konfrontiert.
In der Jugend fing dann bei mir diese Identitätssuche an. Ja, Ich bin Deutsche und ich werde damit leben müssen, ein ganzes Leben lang. Es gab andere in meiner Umgebung, die wollten russisch werden. Die haben dann später auch vielleicht Russen geheiratet und sie wollten russische Namen annehmen.
In unseren Geburtsurkunden und in den Pässen stand als Nationalität Deutsch. Bei mir hat es eher so ein Trotzgefühl ausgelöst. Wenn Deutschland, dann schon richtig Deutschland, dann lerne ich auch richtig die Sprache und die Kultur. Die Literatur und die Musik gaben mir viel Kraft. Das war mein Rückzug aus der Außenwelt. Das war mein persönlicher Weg, aber es gab sehr unterschiedliche.
Frau Langemann erklärte auch, was sie als Kind tat, um sich zu integrieren.
Irene Langemann: Die Identitätssuche oder dieses Minderwertigkeitsgefühl hat bei vielen zu Assimilation geführt, bei uns in der Familie dagegen zu einer Art Leistungsmotivation.
Unser Vater hat uns Kindern immer gesagt: „Ihr müsst besser sein als die russischen Kinder, um die gleichen Noten in der Schule bekommen zu können.“ Und das hat sich bei uns natürlich auch sehr stark eingeprägt, diese Leistungsmotivation, dass man immer besser sein muss, um das Gleiche zu erreichen.
Cosima: Und heutzutage, nachdem Sie sich dann für so einen langen Roman sehr intensiv damit beschäftigt haben, stumpft man dann irgendwann ab oder ist es immer wieder derselbe Schmerz, wenn man von diesem Leid liest und über dieses Leid schreibt und sich damit immer wieder beschäftigen muss?
Irene Langemann: Also ich würde sagen, beides natürlich. Die jüngeren Generationen, die sind mir wichtig. Sie, die jüngeren Menschen, anzusprechen ist wichtig, Sie sind die Zukunft! Es gibt inzwischen 3.000.000 Russlanddeutsche in Deutschland. Bei den meisten jungen Russlanddeutschen bekommt man das gar nicht mit, weil sie perfekt Deutsch sprechen und integriert sind in der Gesellschaft. Aber diese Geschichte, diese Ungerechtigkeit, die dieser Gruppe widerfahren ist, sollte nicht vergessen werden.
Ich habe gegen das Auslöschen der Erinnerung geschrieben. Ich hatte die mündlichen, teilweise auch schriftlichen Erinnerungen von vielen Menschen. Viele Erinnerungen sind verloren gegangen. Da kommen zum Beispiel russlanddeutsche Menschen in meine Lesungen, die sagen, meine Oma hat da was erzählt, aber meine Eltern wissen schon gar nichts mehr davon.
Deswegen finde ich es wichtig, dass das Buch auch in die Schulen und Bibliotheken kommt; dass man weiß, es gibt so ein Buch, so ein umfassendes Buch zu der Geschichte der Russlanddeutschen über mehrere Generationen. Und vor allem ist es aus der Perspektive von Frauen geschrieben. Das ist mir auch wichtig gewesen – ein Alleinstellungsmerkmal.
Die Zeilen, die von der Autorin für die Lesung ausgewählt wurden, haben mich wirklich erschüttert und aufgewühlt. So fragte ich mich, wie Frau Langemann mit all dem umgehen konnte. Allein einen Bruchteil des Buches zu hören, hatte mich sehr berührt, und sie hat sich ja jahrelang damit beschäftigt. Ich fühlte sehr mit den Figuren aus dem Buch mit, obwohl ich ja vorher überhabt keine Berührungspunkte mit ihrem Schicksal hatte. Wie muss es dann für Irene Langemann gewesen sein zu erfahren, was ihre Verwandten erlitten?
Irene Langemann: Ich habe zehn Jahre an dem Roman gearbeitet, immer in den Pausen zwischen den Filmproduktionen, das war ein schwieriger Prozess. Natürlich waren die Kapitel über den Krieg die schwierigsten Kapitel. Das Emotionale – manchmal konnte ich das gar nicht aushalten. Ich bin dann raus, bin spazieren gegangen. Ich habe mir vieles aufgelastet, würde ich sagen, weil ich das oft nicht aushalten konnte.
Die wichtigste Motivation für mich, dieses Buch zu schreiben, war der tragische und grausame Tod meiner Großmutter väterlicherseits. Nach der Deportation nach Nordkasachstan und nach zwei Jahren Gefängnis ist sie auf grausame Art und Weise ums Leben gekommen. Das hat mich motiviert, dieses Buch zu schreiben und dazu Lesungen zu halten.
Seitdem das Buch herausgekommen ist, merke ich immer wieder, wie wenig die Menschen über die Geschichte der Russlanddeutschen wissen, vor allem über diese historische Ungerechtigkeit. Auf der anderen Seite merke ich sogar bei jungen Russlanddeutschen, dass sie ein wenig darüber wissen. Leserinnen und Lesern haben mir viel Feedback gegeben. Eine junge Frau mit russlanddeutschen Wurzeln hat mir geschrieben: „Sie haben uns allen eine Stimme gegeben.“
Das ist etwas, was mich sehr berührt und mich auch glücklich macht. Für mich persönlich ist dieser Roman eine Befreiung.
Frau Langemann meinte vor dem Beginn der Lesung, dass sich in diesem Land nichts ändern würde, was mich neugierig machte.
Cosima: Sie leben ja jetzt nicht mehr dort, wo auch diese Geschichte spielt. Bekommen Sie denn zum Beispiel durch Leserbriefe oder durch Recherche noch mit, ob sich da etwas getan hat? Ist diese Diskriminierung, die Vera und Sie erlebten, immer noch da?
Irene Langemann: Es gibt ja nicht so viele Russlanddeutsche mehr. Die Zahlen, die ich weiß, sind so ungefähr 400.000 in der Russischen Föderation und 200.000 in Kasachstan, und in den anderen Nachfolgerepubliken der Sowjetunion noch viel weniger.
Die meisten, die dortgeblieben sind, die nicht nach Deutschland gegangen sind, sind dann eher auch assimilierte Russlanddeutsche oder gemischte Familien, in denen ein Teil russisch ist oder auch kasachisch. Es gibt so kleine Regionen in Sibirien und auch in Kasachstan, da waren früher deutsche Dörfer, und da leben immer noch Nachkommen von Deutschstämmigen. Ob sie jetzt deutsche Schulen haben oder Deutsch als Muttersprache lernen können, das weiß ich nicht.
Aber die Situation in Russland hat sich ja nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs extrem geändert. Sie ist wirklich beherrscht von Angst und Repression. Und wir wissen ja, wie es Menschen ergeht, die gegen die Staatsmacht sind. Die meisten Oppositionellen sind in Gefängnissen.
Das ist die Situation in Russland. Alles leidet unter diesem Krieg, der jetzt in der Ukraine tobt, und die Menschen haben Angst, sich zu äußern. Bei einigen Freunden, die ich am Anfang des Krieges noch angerufen habe, habe ich gemerkt, dass sie Angst haben, darüber zu sprechen. Sie haben Angst, abgehört zu werden. Dann haben wir uns nur über Belangloses unterhalten, und ich habe es aufgegeben anzurufen, weil es ihnen schaden könnte, sollten sie tatsächlich abgehört werden.
Ein Freund von mir, der vor der Lesung eine Präsentation gehalten hatte, die dem Publikum etwas half, das alles geschichtlich einzuordnen, stellte ebenfalls eine interessante Frage. Diese hatte auch etwas mit Frau Langemanns Dokumentarfilmen zu tun. Sie ist nämlich eigentlich freie Filmemacherin. „Das Gedächtnis der Töchter“ ist somit ihr erstes Buch.
Lukas: Sie haben darüber gesprochen, dass in Ihrem Freundeskreis viele Angst vor Verfolgung haben. Wie sieht das dann bei Ihnen aus? Sie äußern sich ja auch kritisch gegenüber Russland. Sie hatten gerade eben erwähnt, dass Sie 2010 für eine Filmproduktion auch in Moskau waren. Würden Sie jetzt nach der Veröffentlichung Ihres Buches noch einmal nach Russland reisen?
Irene Langemann: Ich war das letzte Mal in Moskau, weil man einen meiner Filme bei einem Festival gezeigt hat. Ich kann jetzt nach dem Beginn des Krieges nicht nach Russland reisen, das ist zu gefährlich. Schon bei den letzten Dreharbeiten gab es einige Festnahmen während unserer Dreharbeiten. Selbst wir waren auch in einer Polizeiwache einmal festgehalten worden. Ich konnte nur drehen, weil ich immer mit einem russischen Team gedreht habe und ich perfekt Russisch spreche. Wenn wir uns unterhalten, fällt es niemandem auf, dass ich eine Ausländerin bin, das wäre auch viel zu gefährlich. Selbst die Korrespondenten der ARD erwägen jeden Tag, wie lange sie noch bleiben können und dürfen, und die haben eine offizielle Akkreditierung durch das Außenministerium.
Käme es für Sie auch in Frage, dazu einen Film zu produzieren? Ich frage, weil man einen solchen Film ja auch sehr gut im Unterricht behandeln könnte.
Irene Langemann: Das werde ich oft gefragt bei den Lesungen. Das ist ja auch naheliegend Aber es geht natürlich um eine Epoche von 200 Jahren. Wie erzählt man das in einem 90 Minuten langen Spielfilm? Eine Serie wäre vielleicht besser, aber es ist historischer Stoff, und das kostet unglaublich viel Geld, eine Serie daraus zu machen.
Also überlege ich, welche Form machbar wäre. Vielleicht dokumentarisch, halb dokumentarisch, halb fiktional. Aber man bräuchte sehr viel Zeit und Geld. Deswegen wollte ich diesen Roman schreiben, denn ich wusste, dass ich nicht alles in einem Film erzählen kann.
Ich werde auch oft gefragt, was denn im Vordergrund stand, die Sprache oder die Bilder. Durch meine Erfahrung als Filmemacherin denke ich sehr bildhaft und beschreibe es auch bildhaft, aber die Sprache stand immer im Vordergrund. Das war für mich das Wichtigste. Trotzdem fließt meine Erfahrung mit Film in das Buch mit ein.
Ich denke, dass man dies auch bemerkt, wenn man das Buch liest. Es fällt mir schwer es zu beschreiben, aber Frau Langmann schreibt sehr bildhaft. Sie nimmt sich Zeit, um die Szenerie, die Umgebung und den Kontext für die inneren Augen zu beschreiben, ohne dabei den Fokus von der Geschichte zu nehmen.
Weil meine persönlichen Interessen im gestalterischen Bereich liegen, wollte ich auch über das Cover reden. Auf den ersten Blick konnte ich es nämlich nicht ganz deuten, obwohl ich es sehr schön fand.
Cosima: Ich hätte noch eine Frage zum Cover des Buches. Darauf sieht man zwei Figuren und eine Grafik. Könnten Sie erklären, was der Gedanke hinter dem Cover war?
Irene Langemann: Das Cover mag ich sehr; es ist ein Aquarell. Gemalt hat es in den 1980er Jahren eine Studentin von Joseph Beuys in Düsseldorf. Das Aquarell heißt „die Rennende“ und zeigt eine Mutter mit Kind. Ich fand dieses Bild so zutreffend, so passend zu meinem Buch, zu meiner Erzählung über Frauen. Deshalb hatte ich dem Verlag vorgeschlagen, dieses Aquarell für das Buchcover zu verwenden. Der Verlagsgrafiker hat dann diesen Entwurf gestaltet: Rotschwarze Linien deuten Eisenbahnstrecken an, die querlaufenden Wörter stellen Eisenbahnstationen in Sibirien dar. Von weitem sieht es aus, als ob die Figur von einem Stacheldrahtzaun umzingelt ist. Für mich ist diese Grafik sehr gelungen.
Unser Schulleiter Herr Dr. Sven Neufert, hat angesprochen, dass wir an unserer Schule ja auch Schüler:innen aus Russland und der Ukraine haben. Diese gaben an, dass sie zuvor noch nie mit der Thematik der Russlanddeutschen in Kontakt gekommen wären. Frau Langemann erklärte dann, dass es nicht unüblich sei, dass die jungen Leute schon damals kaum über diese Situation aufgeklärt wurden.
Irene Langemann: Die Geschichte der Russlanddeutschen wurde in der Sowjetunion verschwiegen. Es gab ja sogar bei der Volkszählung keine Erhebung für die Russlanddeutschen. Auch im Moment wird es so sein. Ja, all die Diskriminierung und das Leid, es wird alles totgeschwiegen. Für Propagandazwecke wird das sehr oft benutzt. Zum Beispiel habe ich vor kurzem eine Meldung gelesen, dass irgendwo in Mittelrussland ein Dorf gebaut werden soll für Rückkehrer aus Deutschland. Also ich weiß jetzt nicht, was das für Menschen sind, die plötzlich zurück nach Russland gehen wollen, aber für die wird jetzt ein Dorf gebaut. Und das wird mit großer Propaganda überall gepostet.
Herr Neufert stellte dann noch eine Frage zur aktuellen politischen Situation, bezogen auf den Ukraine-Krieg und die Verletzungen des Völkerrechts, ausgehend von Putin.
Dr. Sven Neufert: Ich habe den Eindruck, wenn über Russlanddeutsche bei uns gesprochen wird oder man darüber liest, dass sie oft sehr freundlich gegenüber Putins Russland sind. Es gibt natürlich keine journalistischen Erhebungen oder Meinungsumfragen dazu, aber Sie haben ja wahrscheinlich einen Einblick in die russlanddeutsche Community. Wie würden Sie das einschätzen? Wie stehen die Russlanddeutschen zum heutigen Russland vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs?
Irene Langemann: Diese Frage wird mir auch oft gestellt. Dazu muss ich sagen, die Russlanddeutschen sind keine homogene, sondern eine sehr heterogene Community.
Einige meiner russlanddeutschen Freunde in Köln z. B. – das sind alles Medienschaffende oder Künstler. Menschen, die zum Beispiel im Ländlichen wohnen. Und in Detmold gibt es eine sehr große Gemeinschaft von Mennoniten und auch Marxisten, das sind Menschen, die sehr in der Kirche sozialisiert sind und die in ihrem eigenen Kreis leben. Von denen weiß ich, dass sehr viele evangelische Kommunen der Ukraine große Hilfe geleistet haben, sogar dahingefahren sind und dort Hilfe geleistet haben. Sie haben auch den ukrainischen Flüchtigen hier geholfen. Das ist eine Community. Es gibt natürlich auch Menschen, die nur russisches Fernsehen anschauen oder in russischen Internet-Foren sind, weil sie kein Deutsch verstehen. Oft sind es diese älteren Menschen, die dann ein falsches Bild von Russland bekommen, die russische Propaganda für die Wahrheit halten und dann behaupten, dass die deutschen Medien Lügen verbreiten. Diese Menschen gibt es natürlich auch, aber die Russlanddeutschen sind eben verschieden. Sie sind Teil von anderen Gruppen, vertreten auch verschiedene Meinungen. Aber ich denke, dass die meisten Menschen diesen Krieg in der Ukraine verurteilen. Sie sind gegen Putin und den Krieg.
Auch wenn es heute vielleicht nicht mehr in den Köpfen ist: Fakt ist, dass die Russlanddeutschen schwerster Diskriminierung und unmenschlichem Verhalten zum Opfer fielen. Die Familie von Frau Langemann war nicht die einzige mit diesem Schicksal. Sie kamen einst nach Russland, weil ihnen dort Grundstücke und Arbeit in der Landwirtschaft versprochen wurde. Diese erhielten sie auch und unterstützten das damalige Russische Reich immens. Sie lebten in Siedlungen, so ähnlich wie Kommunen, und bauten sich dort ihre Existenzen auf. Diese Existenzen wurden ihnen später entrissen, bloß weil sie aus Deutschland kamen. Ihnen wurden haltlose Unterstellungen gemacht. Mit der Ausrede, dass sie ja Hitler unterstützen würden, verschleppte man sie dann. Sie wurden aus ihren hart erarbeiteten Existenzen gerissen. Stundenlang waren sie in fahrenden Zügen eingesperrt. Von denen wurden sie zur sogenannten „Trudarmija“ gebracht, das bedeutet Arbeitsarmee. Diese deportierten Menschen mussten als Arbeitsarmee unter Zwang Arbeit verrichten. Sie sollten zum Beispiel Bäume fällen, was natürlich für ungeübte Personen sehr gefährlich ist. Die Arbeit, Mangelernährung, Misshandlung und der psychische Ausnahmezustand führten bei vielen der Gefangen zum Tod.
In „Das Gedächtnis der Töchter“ erfährt die junge Vera von den Schicksalen ihrer Familie und somit auch wir. Bei der Lesung hörte ich zwar nur ein paar kurze Ausschnitte, aber diese haben schon gereicht, um mich zu motivieren, diesen Artikel zu schreiben.
Weil bei der Lesung nur eine Jahrgangsstufe aus der Oberstufe teilnehmen konnte, war es mir ein Anliegen, die Erfahrungen, die ich aus diesen 90 Minuten mitgenommen habe, schriftlich aufzuarbeiten und dem Rest der Schule zu Verfügung zu stellen. Mich hat das Thema und das Buch so mitgerissen, dass ich darauf gebrannt habe das alles aufzuschreiben.
Das Buch „Das Gedächnis der Töchter“ ist also eine klare Empfehlung von Herrn Dr. Neufert, unserer Bibliothekarin Frau Rohfleisch, mir und noch einigen der anderen Schüler:innen, die bei der Lesung anwesend waren. Wir wollen auch nochmals einen großen Dank an Frau Irene Langemann ausrichten. Natürlich würden wir uns auch freuen, wenn sie uns erneut am Hagerhof besuchen würde.
Anne Cosima Plies aus der Klasse 9b (2024/25) im Namen der AG Courage, die sich an unserer Schule aktiv gegen Diskriminierung jeglicher Form und Art einsetzt. Unser Ziel ist es, hier einen sicheren Ort für jede:n zu schaffen. Daran arbeiten wir, indem wir auf Probleme aufmerksam machen und sie aktiv angehen. Uns ist es bewusst, dass es nicht reicht, einfach Teil des Netzwerks „Schule ohne Rassismus. Schule mit Courage“ zu sein. Wir wollen zuhören, aufklären, helfen und freuen uns dabei über jede Unterstützung. Wer dabei sein will, kann einfach Herr Priggemeier auf Teams anschreiben, denn er leitet diese AG.
Historische Einführung: Lukas Bredthauer und Sophia Ohly
Technik: Koda Plies und Maja van der Veen (Makerspace)